Lesezeit: ca. 7 Minuten | aktualisiert: 16.12.2021
Mittlerweile hat sich der Begriff Sketchnotes (gerade im deutschsprachigen Raum) von seiner ursprünglichen Bedeutung stellenweise seeeehr weit entfernt. Beziehungsweise: Er wird oft uminterpretiert in „irgendwas mit Zeichnen“.
Und das ist schade: Denn Visualisierung im beruflichen und gesellschaftlichen Rahmen kann ein sehr wirkmächtiges Werkzeug sein. Durch die Fehlinterpretation „irgendwas mit Zeichnen“ werden visuelle Notizen banalisiert, belächelt und in die Hobbyecke geschoben.
Dazu tragen maßgeblich Angebote bei, deren Fokus rein auf dem Zeichnen liegt: Siehe „200 Business-Symbole zum Abzeichnen“ oder „Die große Symbolbibliothek mit über 1000 Zeichenanleitungen“. Oder – für mich der Gipfel der dekorativen Banalisierung – „Mit Sketchnotes dein Business verschönern“.
Leute! Davon kriege ich geistigen Ausschlag. Hässliche rote Pusteln.
Warum ich den Begriff Sketchnote problematisch finde
Was bitte bringt es denn, ein Fahrrad, einen Heißluftballon oder einen Laptop zeichnen zu können, wenn ich nicht in der Lage bin, Inhalte verständlich und auf das Wesentliche reduziert aufzubereiten?!
Visualisieren hat nichts mit Zeichnenkönnen zu tun, sondern mit der erlernbaren Fertigkeit, sich komplexe Zusammenhänge strukturiert zu erschließen (das heißt sie zu verstehen). Visuelle Kompetenz und digitale Alphabetisierung gehören für mich zusammen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nur mit lebenslangem Lernen und Kreativität dafür sorgen können, dass unsere Jobs nicht wegdigitalisiert, sondern menschenzentrierter werden. Nur wer versteht, kann auch gestalten.
Dazu gehört auch, mit visueller Kompetenz seine eigenen Ideen anderen anschaulich vermitteln zu können. Nur wer in der Lage ist, verstanden zu werden, kann andere überzeugen und gesellschaftlich etwas verändern. Mit der Überbetonung des Zeichnens reduzieren sich visuelle Notizen mehr und mehr zu einem kreativen Nischenhobby. Das ist problematisch, weil so die Kraft der Visualisierung für (beruflich oder gesellschaftlich) relevante Dinge oft ungenutzt bleibt.
Ja klar, es gibt seriöse Angebote und tolle Trainer:innen – momentan sind wir aber noch in der Unterzahl.
Deswegen macht es derzeit – leider – Sinn, im deutschsprachigen Raum zwischen Sketchnotes und visuellen Notizen zu unterscheiden. Der Begriff Sketchnote ist momentan von den Banalisierern besetzt.
Back to the roots: Wo der Begriff Sketchnote herkommt
Lass uns das direkt klären: Gibt es einen Unterschied zwischen Sketchnote und visueller Notiz?
Geht man zum ursprünglichen Verständnis des Begriffs zurück, lautet die Antwort: NEIN. Es gibt es keinen Unterschied in der Bedeutung. Mike Rohde, der den Begriff „Sketchnote“ ab dem Jahr 2007 geprägt und seither in die Welt getragen hat, verwendet in seinen beiden Büchern die Begriffe „Sketchnote“ und „Visual Note“ synonym:
„Sketchnotes are visual notes created from a mix of handwriting, drawings, hand-drawn typography, shapes, and visual elements like arrows, boxes, and lines.”
(Mike Rohde)
Im Mike-Rohde-Universum macht der Begriff auch Sinn – gerade unter dem Aspekt „Naming is Branding“. 😉 Denn es ist ja nicht so, als hätte er diese Art der Notizen erfunden. Er konnte sich mit dem neuen Begriff von anderen Visualisierer:innen absetzen (visuelles Arbeiten in Beratung, Coaching, Prozessbegleitung und Moderation etablierte sich in den USA und Kanada schon in den 1970ern). So hat Mike nicht nur Sketchnotes, sondern auch seinen eigenen Namen erfolgreich in die Welt getragen.
Ein Beispiel von Mike Rohde, mit dem er auf seiner Website zeigt, wie eine Sketchnote (bzw. visuelle Notiz) aussehen kann.
Visuelle Notiz vs. Sketchnote: Ein deutschsprachiges Problem
Offenbar weckt der Begriff Sketchnote im deutschsprachigen Raum falsche Assoziationen. Dementsprechend hatte ich gerade in den allerersten Weiterbildungen Menschen im Kurs sitzen, die sich darauf gefreut haben, „endlich besser zeichnen zu lernen“. Die ganze Batterien von Farbstiften und Malblöcken mitgebracht hatten. Und die sich wunderten, warum „dieses schöne Hobby“ im Fachbereich Berufliche Bildung(!) angesiedelt ist.
Die Enttäuschung war dann groß, wenn wir
a) über die äußere Form und mögliche Elemente (Text spielt die entscheidende Rolle) und
b) über die Anwendungsmöglichkeiten von visuellen Notizen gesprochen haben:
- Gespräche dokumentieren,
- Inhalte von Vorträgen festhalten,
- für Prüfungen lernen,
- Projekte planen,
- Recherchen aufbereiten,
- Seminare vorbereiten,
- Wissen leicht verständlich vermitteln…
Scheinbar triggert der Wortteil „Sketch“ einige Menschen so sehr, dass sie die weitere Kursbeschreibung überlesen, wo genau von diesen Anwendungsmöglichkeiten die Rede ist. Mittlerweile bin ich in meinen Ausschreibungstexten überdeutlich: Dies ist kein Zeichenkurs.
Ein Problem aber bleibt: Menschen, die ganz besonders von visuellen Notizen profitieren können, trauen sich Sketchnotes oft nicht zu.
- Menschen, die in Abläufen, Prozessen, Konzepten und Strategien denken.
- Menschen, die regelmäßig mit einer Vielzahl von Informationen umgehen und dabei den Überblick behalten müssen.
- Menschen, die mit Klienten arbeiten, die weniger Spezialwissen haben als sie selbst – und die deshalb anschaulich und aufs Wesentliche reduziert erklären können müssen.
Auch diese Menschen werden getriggert vom Wortteil „Sketch“ und empfinden das für sich als abschreckend. Sie assoziierten, dass man für Sketchnotes irgendwie „begabt“ sein sollte, am besten künstlerisches Talent hat und gut zeichnen können muss. Dass es viel wichtiger ist, gezielt zuzuhören, Gehörtes zu verarbeiten und zusammenzufassen, kommt bei ihnen im Bewusstsein nicht an:
„Sketchnotes don’t require special drawing skills, but do require you to listen and visually synthesize and summarize ideas via writing, drawing and icons.”
(Mike Rohde)
Visuelle Notiz vs. Sketchnote: Wie Begriffe unsere Wahrnehmung beeinflussen
Nach einigen Jahren Erfahrung als Trainerin für visuelles Denken und Arbeiten finde ich den Begriff Sketchnote zunehmend problematisch. Dabei habe ich ihn früher sehr gerne genutzt, sogar in meinem Claim. Lange Zeit stand ganz oben auf meiner Website „Sketchnotes ohne Firlefanz“. Auch mein Business-Profil auf verschiedenen Social-Media-Plattformen hieß so.
Seit Anfang 2020 ersetze ich den Begriff in meinen Texten mehr und mehr durch „visuelle Notiz“. 2021 bin ich sogar so weit gegangen, dass ich meinen Claim geändert habe. Wo lange Zeit „Sketchnotes ohne Firlefanz“ stand, heißt es jetzt „Visualisierung ohne Firlefanz“. Weil mir die Umbenennung so wichtig war, werde ich auch noch darüber schreiben, was mein neuer Claim mir bedeutet.
Das Austauschen des Begriffs Sketchnote durch visuelle Notiz bewirkt eine andere Wahrnehmung ein und derselben Sache. Die sprachliche Betonung verschiebt sich auf „Notizen“ und „visuell“ wird eher zum Nebenaspekt. Ein Nebenaspekt, der gar nicht mehr so einschüchternd wirkt.
Der Ausdruck „visuelle Notizen“ beschreibt meiner Meinung nach viel treffender, was Sketchnotes eigentlich sind: 1.) Notizen, die 2.) eine visuelle Komponente in sich tragen. Inhalt first, Optik second.
Wie bei jeder anderen Notiz liegt der Fokus dabei immer auf dem Inhalt der Notiz. Wenn der Inhalt nicht verständlich ist, dann ist die Notiz unbrauchbar. Text ist daher die wichtigste Komponente in einer visuellen Notiz. Mit Text kannst du wichtige Informationen leicht festhalten und weitergeben.
Eine visuelle Notiz kann daher komplett ohne Bilder auskommen, aber nie ohne Text.
Und was ist mit der visuellen Komponente? Tja, das Visuelle in visuellen Notizen sind nicht die Bilder, sondern die Struktur der Notiz. Also in erster Linie, wie Informationen auf einem Blatt Papier angeordnet sind.
Ein Beispiel: Stehen einzelne Textblöcke näher zusammen, dann deuten wir das auch als inhaltlich zusammengehörig. Stehen sie weiter voneinander entfernt, halten wir sie rein optisch schon für unterschiedlich. Die visuelle Struktur der Notiz erleichtert uns das Verdauen von Informationen – und zwar schon, BEVOR wir anfangen zu lesen.
Und die bewusste Verwendung von Sprache erleichtert uns das Nutzen eines kraftvollen Werkzeugs… Deswegen gibt es für mich derzeit eben doch einen Unterschied zwischen Sketchnote und visueller Notiz.
Wie du visuelle Notizen beruflich nutzen kannst
Nach meiner Beobachtung gewinnen Visualisierungen im Beruf zunehmend an Bedeutung. Genau diese Entwicklung liegt mir auch am Herzen. Deswegen hier jetzt ein paar Beispiele, die ich sehr gelungen finde. Nicola Pridik zum Beispiel ist Juristin und macht Gesetze und andere rechtliche Zusammenhänge anschaulich:
Nicola Pridik hat §10 des Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) visualisiert (© Nicola Pridik)
Aşkın-Hayat Doğan hat als Diversity Trainer und Sensitivity Reader einen erklärungsbedürftigen Beruf. Er sagt nicht nur, „dass Sensitivity Reading dafür da ist, ungewollt produzierten Bullshit wie diskriminierende Stereotype zu verhindern – sei es in Romanen, Artikeln, Fernsehserien, Rollenspielen oder Presseerklärungen” sondern veranschaulicht auf seiner Website auch, welche Diversitätsmerkmale es gibt:
Visualisiertes Diversityrad auf der Website von Aşkın-Hayat Doğan, Illustration: © Oliver Hoogvliet
Die Heilpraktikerin Mirja Flöser zeigt auf ihrer Website, welche Themen beim ersten Besuch in der Praxis angeprochen werden: Welche Unterlagen werden benötigt, was wird genau gemacht und wie lange kann so ein Gespräch dauern?
Visualisierung, mit der Heilpraktikerin Mirja Flöser auf ihrer Website zeigt, was beim ersten Besuch in der Praxis passiert. © Insa Krey
Natürlich kannst du (wie in den letzten beiden Beispielen) die Visualisierung deines beruflichen Themas jemanden für dich machen lassen. Viel flexibler bist du aber, wenn du (wie die Juristin Nicola Pridik) in der Lage bist, selbst zu visualisieren. Und du musst es noch nicht einmal für „die Öffentlichkeit” tun.
Beispiel 1: Als Coach:in kannst visuelle Notizen einfach im Gespräch mit deinem Coachee nutzen: Als Mitschrift eurer Sitzung unter vier Augen, ganz ohne ästhetischen Anspruch. Das Wichtigste ist, dass die Aufmerksamkeit beim Coachee liegt und ihr genug Raum dafür bleibt, die Notiz zu ergänzen oder richtigzustellen. Das gelingt viel leichter, wenn deine Visualisierung funktional ist (statt schön). Der Zweck dieser simplen Striche ist es, die Essenz aufs Papier zu bringen und der Coachee zu spiegeln, was du gehört hast. Dafür braucht es das richtige Mindset: Weg vom Anspruch, etwas Schönes zu malen, hin zu funktionalen Sketchnotes, die einen tiefen, transformativen Wert haben.
Beispiel 2: Als Journalistin kannst du – nur für dich – deine Recherche visuell strukturieren. So wie Andrea Fritz in meinem letzten Kurs:
Ich habe es tatsächlich geschafft, ein dreistündiges Strafverfahren mit acht Zeugen, inclusive Plädoyers und Urteilsbegründung, auf drei A4-Seiten so anzuordnen, dass ich beim Schreiben meines Artikels mit einem einzigen Blick auf die Notizen die gesuchte Information gefunden habe. Das ist großartig und erleichtert mir die Arbeit ungemein. Zumindest, was Gerichtsberichterstattung angeht.
Aber auch sonst plane ich meine Notizen viel besser und erhalte dadurch Übersicht. Ich traue mich, weniger mitzuschreiben, weil ich viel organisierter bin. Ich spare dadurch viel Zeit und – schreibe sogar bessere Texte!
Das Gute ist: Ich brauche keine Symbole! Eine übersichtliche Darstellung, Rahmen und Pfeile reichen völlig aus, um mir das Leben erheblich zu erleichtern.
Ich hätte nie gedacht, dass man mit so kleinen Veränderungen so viel erreichen kann. Es ist toll zu sehen, wie im Kurs jeder seinen eigenen Weg findet. Ich hatte den Eindruck, dass es im Kurs am Ende genauso viele verschiedene Lösungen wie Anforderungen gibt.
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