Lesezeit: 7 Minuten | aktualisiert: 24.05.2021
Lass uns heute mal auf eine besondere Form von visuelle Notizen schauen: die Gedankenskizzen.
Was sind Gedankenskizzen?
Gedankenskizzen sind im Grunde die kleinen Schwestern von visuellen Notizen. Sie passen locker auf eine Moderationskarte, ein A6-Notizblockblatt oder einen Klebezettel. Sie transportieren einzelne Informationshäppchen. In der Regel enthalten sie nur einen einzigen Gedanken oder Zusammenhang.
Gedankenskizzen sind eine einfache Visualisierungstechnik, die sich derselben Elemente bedient wie visuelle Notizen auch (Text, Linien, Rahmen, Pfeile, Symbole, Farbe). Bei ihnen geht es aber noch nicht darum, alle Gedanken strukturiert zu einem großen Ganzen zusammenzufügen, sondern erst einmal zu erkunden, was da ist und wohin die Reise gehen kann. Sie konzentrieren sich jeweils auf einen Kernpunkt.
Gedankenskizzen – ein Beispiel aus dem Alltag
Mein Vater ist Handwerker und tüftelt gerne neue Dinge aus. Viele meiner Möbel, vom Schreibtisch bis zum Sofa, hat er selbst entworfen und gebaut. Jedes Mal, wenn es mit der Planung losging, haben wir uns am Küchentisch zusammengesetzt und besprochen, wie wir uns das neue Möbelstück jeweils vorstellen.
Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, die Ideen direkt von Anfang an mit ein paar Strichen aufs Papier zu bringen, um nicht aneinander vorbeizureden. Wenn zwei Leute über „ein Bücherregal mit sechs Einlegeböden“ sprechen, können sie nämlich sehr unterschiedliche Bilder dazu im Kopf haben:
Wäre blöd, wenn das Missverständnis erst beim Zusammenbauen in der Wohnung auffällt…
Gedankenskizzen – noch ein Beispiel aus dem Alltag
Diese Klarheit ist mir auch wichtig, wenn ich mit einer Kundin spreche, um für sie ein individuelles Training zu entwickeln. Wir reden dann oft über abstrakte Prozesse und Konzepte wie Resilienz, Change-Management, Mediation, Agilität, Bürgerbeteiligung oder Friedensarbeit.
Um zu verstehen, womit ich meiner Kundin am besten helfen kann (beispielsweise, was sie von mir genau an Trainingsinhalten braucht, um als Verwaltungschefin einen dreitägigen Planungsworkshop für ihre Mitarbeitenden in visuell starken Arbeitsplakaten umsetzen zu können), fange ich nach spätestens drei Minuten an, diese Konzepte grob aufzuzeichnen.
Oft sind das nicht mehr als ein paar Kästchen und Kreise mit Pfeilen. Aber sie machen ein körperloses, begriffliches Konstrukt wie „interdisziplinäre Zusammenarbeit“ überhaupt erst einmal auf dem Papier sichtbar und (be-)greifbar.
Ein paar Striche genügen, um einen Gedanken auszudrücken, zwei miteinander zu verbinden oder das eigene Verständnis zu überprüfen: „Sprechen wir gerade über einen iterativen Prozess? Verstehe ich es richtig, dass wir mindestens drei Testschleifen brauchen, um zu wissen, ob das Konzept funktioniert?“
Und schon kommen wir ganz anders miteinander ins Gespräch. Vielleicht sagt meine Kundin dann: „Genau! Aber jetzt, wo ich das so sehe, fällt mir auf, dass der Knackpunkt genau hier liegt.“
Wozu kannst du Gedankenskizzen verwenden?
Das Beschränken auf den einen wichtigen Gedanken macht Gedankenskizzen besonders gut geeignet zum (Er)-Klären, Lehren und Präsentieren:
- Du kannst eigene Gedanken klären, indem du schnell eine Idee festhältst. Oder mehrere Ideen sammelst, jede auf einem eigenen, kleinen Zettel. So kannst du dir Klarheit über einen Sachverhalt verschaffen und die Ideen dann leichter weiterentwickeln.
- Du kannst im Gespräch mit einer anderen Person überprüfen, ob ihr euch richtig verstanden habt, und dann von einem gemeinsamen Punkt aus eure Gedankengänge weiterverfolgen.
- Du kannst ein komplexes Thema in einzelne Punkte herunterbrechen und Schritt für Schritt (Gedankenskizze für Gedankenskizze) erklären – in einem Gespräch auf einem Blatt Papier, beim Teammeeting auf dem Flipchart, in großer Runde in einer PowerPoint-Präsentation.
(Das haben Gedankenskizzen übrigens mit richtig guten Präsentationsfolien gemeinsam: Pro Folie nur ein Gedanke.)
Das Wichtigste zusammengefasst…
Gedankenskizzen bilden also nicht das große Ganze ab – anders als eine visuelle Notiz, die oft als Übersicht aller möglichen Zusammenhänge oder Abläufe dient – sondern konzentrieren sich auf einen Kernpunkt.
Gedankenskizzen sind ein Ideenkatalysator, um einzelne Ideen, Fragen und Lösungsansätze sichtbar zu machen. Entweder nur für dich selbst, spontan im Gespräch mit anderen, oder fertig vorbereitet auf Präsentationsfolien oder einem Flipchart, um anderen Menschen dein Anliegen Schritt für Schritt zu verdeutlichen.
Mit Gedankenskizzen kannst du ein gemeinsames Verständnis herstellen und deinen Gesprächspartner:innen einen Anknüpfungspunkt bieten:
„So sehe ich das auch!“
„Dieses Detail habe ich noch nicht verstanden!“
„Wenn wir das weiterdenken, bedeutet das Folgendes: …“
… und ein schöner Nebeneffekt
Und wenn deine eigenen Gedankenskizzen zwar lesbar aber nicht perfekt sind, dann hat dein Gegenüber vielleicht auch den Mut, einfach selbst den Stift in die Hand zu nehmen und die eigenen Gedanken ebenfalls mit ein paar schnellen Strichen sichtbar zu machen.
Ist mir in den letzten Jahren jedenfalls schon ein paar Mal passiert: Ich stehe nach meiner Präsentation in der Konferenzpause an der Kaffeebar und komme mit einem Zuhörer ins Gespräch. Wir unterhalten uns eine Weile, dann schaut er sich suchend um, verlangt von der Barista einen Kugelschreiber und erklärt mir schließlich auf einer fleckigen Papierserviette, warum er einen bestimmten Punkt aus meinem Vortrag anders sieht als ich.
Mir geht dann immer das Herz auf – nicht, weil wir unterschiedlicher Meinung sind, sondern weil diese spontane Skizze oft begleitet wird von einem halb entschuldigend, halb stolz gemurmelten: „Ach, ich probiere das jetzt auch mal…“
Ein weiterer Schritt zur visuellen Alphabetisierung des Abendlandes! 😉
Erzähl mal – bist du auch eine Gedankenskizzierin? Oder hast du jetzt Lust bekommen, eine zu werden? So oder so, ich freu mich, von dir zu lesen! Hinterlasse mir einfach deine Nachricht in den Kommentaren! ⇓⇓⇓