Lesezeit: ca. 7 Minuten | aktualisiert: 05.08.2021
Copyright Titelbild: Herbert Henderkes
Erfolgreiche, produktive Menschen stehen früh auf. Also mindestens mal um 5 Uhr morgens. Und dann durchlaufen sie eine choreografierte Morgenroutine, in der trainiert, meditiert, Business-Podcasts gehört, ein grüner Smoothie bereitet und verzehrt, den Kindern ein gesundes Mittagessen eingepackt und ein Dankbarkeitstagebuch geführt wird. Und spätestens um 6 Uhr 30 sitzen erfolgreiche, produktive Menschen am Schreibtisch (oder wahlweise mit dem Laptop auf der Strandhausterrasse) und sind den ganzen Tag lang erfolgreich und produktiv und nehmen nebenher mehr Geld ein als sie in ihrem Leben ausgeben können. Dabei sind sie stets superzufrieden mit sich und der Welt. Und das alles wegen ihrer ausgeklügelten Morgenroutine, die am besten schon vor Sonnenaufgang beginnt.
Echt jetzt? Dann könnte ich’s ja gleich sein lassen. Ich schlafe nämlich noch tief und fest während der (hauptsächlich von Wirtschaftsmagazinen propagierten und von Hobbyredakteuren unreflektiert in Ratgeberbücher übernommenen) „einzig wahren Erfolgs-Produktivitäts-Routine“.
Das Ding mit der Chronobiologie
Meine eigene Erfahrung zeigt mir etwas anderes und deswegen bin ich zunehmend genervt von einseitig geprägten „Produktivitätsgurus“ und unreflektiert nachplappernden Pseudo-Experten.
Ich bin eine ausgeprägte Nachteule (und habe das sogar schriftlich, weil ich Studienteilnehmerin am Roenneberg Lab der LMU München war). Trotzdem bekomme ich in meinem Arbeitsalltag einiges geschafft, zum Beispiel mein eigenes Unternehmen aufbauen. Was mir auffällt: Das fluppt erst so richtig, seitdem ich meinem Biorhythmus folgen kann – weil die äußeren Umstände für mich, den chronobiologischen Spättyp, jetzt günstiger sind.
„Ich weiß, dass man den Menschen sehr unrecht tut, die eher Spät-Typen sind. Die dann lieber abends arbeiten. Es ist durchaus so, dass Produktivität auch dann erfolgen kann, wenn sie nicht in den frühen Morgenstunden abgerufen wird.“
Der Segen des Homeoffice
Jahrelang hat mir mein Tageslichtwecker ab 5 Uhr 30 den Sonnenaufgang simuliert, damit ich mich um 6 Uhr morgens aus dem Bett quälen konnte, um zur Arbeit zu pendeln und rechtzeitig im Büro zu sein. Früh einschlafen konnte ich abends trotzdem nicht. In der Folge fehlte mir unter der Woche nächtlich mindestens eine Stunde Schlaf, denn mein Schlafbedarf liegt im Schnitt bei etwa 8 Stunden. Chronischer Schlafmangel also. Total gesund für Körper und Seele. :-/
Ich werde frühestens um 23 Uhr müde, manchmal auch erst wesentlich später. Egal, wann ich aufstehe.
„Der Chronotyp ist genetisch festgelegt. Er hängt damit zusammen, wann wir unsere minimale Körpertemperatur in der Nacht haben – ob das in den frühen oder späten Morgenstunden ist. Und das ist etwas, auf das wir gar nicht so viel Einfluss haben.“
Was ich auch von mir kenne: Gegen 23 Uhr herum kommt mir eine zündende Idee, an der ich dann gut arbeiten kann. Gerne auch konzentriert zwei Stunden am Stück. Wenn ich kann, wie ich will, beginnt dann oft meine kreative Problemlösezeit.
Seit Beginn der Pandemie kann ich (meistens), wie ich will. Ich muss seit mehr als 17 Monaten nicht mehr ins Büro pendeln. Ich stehe auf, wenn ich ausgeschlafen bin. Beim allmählichen Aufwachen blitzt oft schon ein guter Einfall in meinen Bewusstsein auf. Oft die Lösung für ein Problem, dass mich schon länger beschäftigt. Dann gehe ich die paar Schritte rüber ins Homeoffice, klappe den Laptop oder mein Notizbuch auf und arbeite los. Statt Zeit zu verplempern, um mich auf den Arbeitstag vorzubereiten, habe ich schon den ersten Schwung an konzeptionellen Dingen erledigt. Später wird dann gefrühstückt, im Anschluss schreibe ich Mails und telefoniere.
Der inneren Uhr folgen dürfen
Trotzdem lebe ich nicht auf einer einsamen Insel, sondern muss mich mit Kolleginnen, Geschäftspartnern, Kundinnen und auch mit meinem Partner (ausgeprägter Frühaufsteher) arrangieren. Seit der positiven Homeoffice-Erfahrung versuche ich aber, meinen Arbeitsalltag wann immer möglich konkret an meinen Biorhythmus anzupassen. Das geht nicht immer ohne Reibung ab, aber es ist machbar.
Zum Beispiel hasse ich Termine vor 11 Uhr morgens, weil ich mich dann meiner energiegeladensten, ungestörten Konzentrationsphase beraubt fühle. Den Rest des Tages kann ich dann in der Regel in die Tonne kloppen und bin nur noch für Routineaufgaben zu gebrauchen. Deswegen versuche ich alle Termine, die ich beeinflussen kann, frühestens auf 14 Uhr zu legen. Mit anderen Menschen intensiv diskutieren geht dann super.
Auch Visualisierungstrainings, insbesondere 1:1‑Mentorings, lege ich gerne auf den späten Nachmittag oder frühen Abend. Und ich merke, dass die Arbeit mit meinen Lieblingskundinnen dann auch am besten funktioniert. Ich kann am besten helfen, wenn ich im kreativen Flow bin.
Produktiv auch ohne Morgenroutinen?
Was mir die letzten anderthalb Jahre gezeigt haben: Für einen produktiven Arbeitsalltag kommt es weniger darauf an, wann wir aufstehen, sondern dass wir genug Schlaf bekommen. Und falls der Eindruck aufgekommen sein sollte: Ich habe rein gar nichts gegen Frühaufsteherinnen und respektiere jede Form von individuellem Tagesrhythmus. Genau deswegen mag nicht darüber „belehrt“ werden, dass mit meinem etwas nicht in Ordnung sei.
Der frühe Vogel ist früher müde und die Amsel in unserem Garten zieht auch in der Abenddämmerung noch erfolgreich Würmer aus der Erde.
Und auch Tagesroutinen finde ich sehr hilfreich, nur müssen diese mit Sicherheit nicht für jeden Menschen in aller Herrgottsfrühe beginnen. Zu meinen Routinen gehört zum Beispiel ein am Vorabend (oder in der Nacht) erstellter visueller Tagesplan. Damit schließe ich meinen Arbeitstag ab und briefe gleichzeitig meinen kreativen Autopiloten. Der sorgt dann dafür, dass Lösungen für Probleme oft beim ausgeruhten Aufwachen „plötzlich“ aufploppen.
Zum Weiterlesen:
Strukturierter arbeiten: Visueller Tagesplan statt To-Do-Liste
In 7 Schritten zu mehr Spaß und Effizienz im Arbeitsalltag
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