Orientierung oder Frust?
Warum es keine gute Idee ist, im Internet nach „Vorbildern“ für die häufigste Anwendung von Sketchnotes zu suchen und wie du stattdessen weiterkommst.
Lesezeit: 14 Minuten | aktualisiert: 19.06.2020
(Du bist in Eile? Am Ende des Artikels findest du die Essenz in 10 Sekunden.)
Ich weiß, es kann frustrierend sein.
Egal, ob du erst seit 5 Minuten oder schon seit 5 Jahren Sketchnotes machst: Es wird wahrscheinlich immer mal wieder vorkommen, dass du in Frage stellst, ob das, was du aufs Papier bringst, wirklich richtige Sketchnotes sind. Oft lassen sich diese Bedenken leicht wieder abschütteln, manchmal werden die Zweifel aber so groß, dass sie dich ernsthaft ausbremsen.
Mich hätte es vor einiger Zeit fast aus der Kurve getragen.
Ich war kurz davor, Sketchnoting wieder aufzugeben, obwohl ich es fast täglich nutze (und das sogar beruflich). Aus lauter Zweifel darüber, ob das, was ich da machte, wirklich als Sketchnotes angesehen wird. Ob ich mit meiner Art, visuelle Notizen zu machen überhaupt zur „Sketchnote-Community“ dazugehörte.
Damit dir das gar nicht erst passiert, möchte ich dir in diesem Artikel den Rücken stärken. Ich teile meinen wichtigsten Tipp mit dir, mit dem du dauerhaft den Druck rausnehmen kannst.
Eine Quelle für Inspirationen und für Zweifel
Wenn du ähnlich tickst wie ich, dann suchst du zunächst einmal nach Möglichkeiten, Sketchnotes als praktische, übersichtliche Notizenform zu verwenden.
Direkt für deinen Arbeitsalltag, ohne viel Aufwand.
Notizen, die du gerne wieder hervorholst, weil sie übersichtlich und angenehm anzuschauen sind. In denen du dich schnell zurechtfindest und Informationen auf einen Blick erfasst. Notizen, die dir helfen, dich an Inhalte von Gesprächen oder Texten oder eigenen Gedanken zu erinnern.
© Viktoria Cvetković | In dieser Sketchnote habe ich ein Kapitel eines Fachbuchs für mich zusammengefasst.
Und vielleicht bist auch du immer mal wieder auf der Suche nach Inspirationen und schaust dich im Netz um, was andere so machen? Vielleicht steckst du auch gedanklich gerade fest und suchst nach Visualisierungen zu bestimmten Begriffen? Oder nach Lösungen für die Blattaufteilung?
Und dann? Wie gehst du mit den gefundenen Beispielen um? Machst du dir Gedanken darüber, wie deine Sketchnotes im Vergleich aussehen? Zweifelst du manchmal, ob deine Sketchnotes sich mit anderen messen können? Ob sie gut genug sind? Vielleicht fühlst dich manchmal sogar talentfrei?
Wenn ja, bist du damit in guter Gesellschaft.
Wenn du „Sketchnotes“ als Begriff in eine Suchmaschine deiner Wahl eingibst, findest du in der Bildersuche Tausende von Beispielen. All diese Beispiele können eine tolle Anregung für deine eigenen Sketchnotes sein – sowohl wofür du sie nutzen kannst, als auch wie du sie gestalten kannst.
Andererseits trägt die Bildersuche einen gewaltigen Nachteil in sich, der mir selbst lange nicht klar war. Und der mich an einem bestimmten Punkt fast dazu gebracht hätte, Sketchnoting wieder aufzugeben.
Der blinde Fleck im Netz
In der gesamten Bildersuche wirst du den häufigsten, relevantesten Anwendungsfall für Sketchnotes nur sehr, sehr selten finden.
Als würden diese Notizen gar nicht existieren.
Wovon ich spreche?
Ich meine die ganz gewöhnlichen, praktischen, im Arbeitsalltag genutzten Sketchnotes. Die, die wirklich als Notiz- und Merkwerkzeug für einen selbst fungieren (und nie mit dem Gedanken an eine Veröffentlichung auf Instagram oder Pinterest im Hinterkopf erstellt werden).
→ Die mit den Durchstreichungen und schnellen Korrekturen.
→ Die mit der gequetschten Schrift am Rand.
→ Die mit der unausgewogenen Seitenaufteilung.
→ Die auf der Rückseite eines misslungenen Ausdrucks.
→ Die auf dünnem Karopapier.
→ Die mit den Interna drauf (Namen, persönliche Gedanken, interne Abläufe, …).
© Viktoria Cvetković | Alltags-Sketchnotes
Dinge, die ich selbst normalerweise auch nicht veröffentlichen würde.
(Außer ausnahmsweise hier und mit verpixeltem Text, um dir zu zeigen, was ich meine… Und ganz ehrlich? Auch das sind schon die „vorzeigbareren“ Beispiele. Oben links siehst du eine typische Notiz aus einem Team-Meeting, in der ich Themen, Fristen und Zuständigkeiten für mich festgehalten habe. Unten links ist eine etwas ausführlichere Besprechungsnotiz zu strategischen Themen, oben rechts eine Ideensammlung aus einem Brainstorming, und unten rechts die Kernpunkte aus einer einstündigen Diskussion).
Trotzdem bin selbst ich bei der Bildersuche darauf hereingefallen – und habe Äpfel mit Birnen verglichen. Und das meine ich absolut nicht arrogant, sondern vor dem Hintergrund meiner eigenen langjährigen Erfahrung mit visuellen Notizen. Ich nutze sie beinahe täglich als Alltagswerkzeug für mich selbst. Ich führe zum Thema Sketchnotes Trainingskurse in Unternehmen durch und bin Dozentin in der beruflichen Weiterbildung.
Wie soll es erst jemandem gehen, der mit Sketchnotes gerade erst startet und nach Orientierung sucht?
Obwohl ich also Sketchnotes regelmäßig im Einsatz habe, begann ich nach einer umfangreicheren Bildrecherche zu einem bestimmten Thema tatsächlich daran zu zweifeln, ob meine Notizen richtige Sketchnotes sind. Ob ich sie so nennen darf. Ob ich weiterhin Trainings dazu geben sollte.
Was ich nämlich bei der Bildrecherche gefunden hatte, waren massenweise sehr aufwändig gestaltete Sketchnotes mit hohem ästhetischem Anspruch. Viele davon gefielen mir gut, aber sie verunsicherten mich auch:
Zu ähnlichen Ergebnissen kam ich nur, wenn ich mir viel(!) Zeit nahm, ABER: Meine Alltags-Sketchnotes hatten damit wenig Ähnlichkeit.
Ich fing an, meine Kompetenz in Frage zu stellen. Müssten, nach jahrelanger Praxis, meine Sketchnotes nicht immer so aussehen? Müsste ich das nicht allmählich mühelos und nebenher „aus dem Handgelenk schütteln“ können?
„chi-hua-chien_tech_crunch_ImageThink“ by Quotidian Ventures is licensed under CC BY 2.0
Orientierung oder Frust?
Glücklicherweise habe ich mich zu der Zeit sehr intensiv mit einer guten Freundin zu Sketchnotes und unseren individuellen Ansätzen ausgetauscht. Wir nahmen also alles auseinander.
Was viele der Sketchnotes im Internet gemeinsam hatten:
Sie waren bei Konferenzen oder ähnlichen Veranstaltungen entstanden.
Sie waren aufwändig gestaltet.
Sie konnten problemlos öffentlich geteilt werden, da die Inhalte nicht vertraulich waren.
Meist waren sie von Leuten erstellt worden, die professionell als visuelle Konferenzbegleiter unterwegs sind (Graphic Recorder, Visual Facilitator, …).
„EUviz Visual Practitioners Conference“ by MinaLegend is licensed under CC BY 2.0
Mit ein bisschen Abstand betrachtet hatte einiges, was ich unter dem Stichwort Sketchnote gefunden hatte, tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit Graphic Recordings (wenn auch nicht als Riesenposter, sondern in kleinem A4- oder A3-Format). Selbst wenn die gefundenen Sketchnotes vielleicht keine beauftragte Visualisierung von Redeinhalten waren – von der Form, von ihrem Aussehen her, hätten sie welche sein können.
Das heißt:
- beauftragt und bezahlt von der veranstaltenden Organisation,
- erstellt als berufliche Dienstleistung,
- um die Veranstaltung zu dokumentieren und
- das Ergebnis zu veröffentlichen.
Merkst du was? Das spielt sich in einem anderen Bereich von „Informationen visuell festhalten“ ab. Und es hat mit persönlichen Sketchnotes kaum noch etwas zu tun.
Nun sind visuelle Formate ja auch nicht auf Sketchnotes beschränkt:
© Viktoria Cvetković | Sketchnotes im Kontinuum visueller Formate
Für mich sind Sketchnotes primär visuelle Notizen für mich selbst.
Ich mache sie bei der Arbeit und für die Arbeit.
Ich schaute mir meine eigenen Alltags-Sketchnotes noch einmal genauer an – und zwar unter dem Blickwinkel: Waren sie nützlich für mich? Halfen sie mir bei der Vorbereitung von Terminen, beim Erinnern an Gesprächsinhalte, beim Entwickeln von neuen Ideen? (und zwar genau so unperfekt wie sie waren)
Antwort: Ja, das taten sie.
Störte es mich, dass sie optisch nicht sorgfältig ausgearbeitet waren? Störte es mich, dass ich an der fertigen Sketchnote direkt sah, was ich hätte besser machen können?
Ja, schon. Das kratzte an meinen eigenen Anspruch. In meinem Studium hatte ich mich jahrelang mit Gestaltung beschäftigt. Ich wusste, dass es besser ging.
Störte es mich so sehr, dass ich eine zweite, verbesserte Version von den Sketchnotes erstellen wollte?
Nö. Definitiv nicht. Sie erfüllten ja ihren Zweck.
Als diese Erkenntnis einmal eingesickert war, ging es mir schlagartig besser. Denn auch wenn ich die im Internet gefundenen Visualisierungen oft großartig finde, ist es definitiv Quatsch, Alltags-Sketchnotes mit (mutmaßlich) zur Veröffentlichung bestimmten Sketchnotes/Mini-Graphic-Recordings zu vergleichen oder sie daran zu messen.
Ich fragte mich weiter: Würde es mir in Zukunft für Alltags-Sketchnotes reichen, so weiterzumachen wie bisher? Oder sollte ich mir mehr Mühe mit der Planung geben, um zu optisch ansprechenderen Ergebnissen zu kommen?
Kommt darauf an. Denn irgendwie passt beides. Ich lerne gerne dazu und ziehe oft die besten Erkenntnisse aus eigenen Fehlern. Ich habe Spaß daran, Dinge kontinuierlich zu verbessern und freue mich über Erreichtes. Ich habe aber auch nur begrenzt Zeit. Ich muss Prioritäten setzen, sonst werde ich nicht fertig.
Alles immer möglichst perfekt geht halt nicht.
Den Druck rausnehmen
Deswegen nehme ich mir inzwischen vor jeder neuen Sketchnote einen Moment Zeit (Ich spreche hier wirklich von weniger als 1 Minute!), stelle mir zwei Fragen und treffe eine bewusste Entscheidung für diese eine nächste Sketchnote.
Das befreit mich von einer übertriebenen (weil dauerhaft hohen) Erwartung an mich selbst und ermöglicht mir trotzdem, Fortschritte mit meinen Sketchnotes zu machen.
Vielleicht willst du es ja auch einmal probieren?
Hier kommt der „Trick“:
Sorge für Klarheit in deinem Kopf, bevor du den Stift auch nur aufs Papier setzt.
Beantworte dir folgende Fragen dafür:
Sketchnotes für dich selbst kannst du problemlos mit einem Kugelschreiber auf der Rückseite eines misslungenen Ausdrucks machen (sieht ja niemand außer dir). Entscheidend ist, dass sie dir nützen.
Eine krakelige, inhaltlich stimmige Sketchnote bringt dir in jedem Fall mehr als eine, die vor lauter ästhetischem Anspruch gar nicht erst entsteht.
Möchtest du deine Sketchnote mit anderen Menschen teilen? Gerade im beruflichen Umfeld ist das dann oft der Moment, in dem die äußere Form beginnt eine größere Rolle zu spielen. Was ja auch sinnvoll ist, wenn du gute Inhalte in einer dazu passenden Verpackung präsentieren möchtest. Genauso wie ein aufgeräumter Schreibtisch sendet auch eine aufgeräumte, ordentliche Notiz ein bestimmtes Signal nach außen und trägt dazu bei, wie andere deine Arbeit wahrnehmen.
Je nach eigenem Anspruch kommst du dann vielleicht auch nicht mehr mit dem ersten Versuch aus, und fängst an, Entwürfe für die Struktur der Sketchnote und Vorzeichnungen für bestimmte Elemente zu machen. Die Notiz wird aufwendiger.
Beides ist in Ordnung. Es muss dir nur klar sein, bevor du loslegst.
Das präsent zu haben ist wichtig, wenn du zu Perfektionismus neigst.
(Richtig, ich spreche aus Erfahrung…)
Die Gefahr ist ansonsten, überzogene Ansprüche an die Gestaltung einer Notiz zu stellen, die außer dir niemand sehen wird. Solange du Kapazitäten dafür frei und Spaß an aufwendig ausgearbeiteten Sketchnotes hast, ist das überhaupt kein Problem. Wenn du aber merkst, dass allein der Gedanke an Sketchnotes dich schon stresst, weil du nicht weißt, ob es dir gelingen wird, sie „schön genug“ zu machen, oder du einfach zu lange brauchst:
Tritt einen Schritt zurück und leg für dich fest, wann die jeweilige Sketchnote gut genug (nicht perfekt!) ist.
Eine persönliche Planungsnotiz muss nicht so aufwendig gestaltet sein wie ein visuelles Protokoll, das du an andere weitergeben willst. Aber auch das visuelle Protokoll ist immer noch ein Protokoll und kein Kunstwerk. Seinen Mehrwert bekommt es durch eine übersichtliche Struktur und klar verständlichen Text, nicht durch kunstfertige Zeichnungen (auf die du übrigens komplett verzichten kannst, aber das ist ein Thema für sich und gehört in einen anderen Artikel…).
(Für mich habe ich es so gelöst:
Gelegentlich erstelle ich Sketchnotes, um sie mit anderen zu teilen, und dann gebe ich mir zielgerichtet mehr Mühe, sie übersichtlich und optisch ansprechend zu gestalten. Schließlich müssen sie ja auch von anderen verstanden werden.
Für mich selbst könnte ich das zwar auch machen, aber es ist immer eine Frage von Aufwand und Nutzen – meistens halte ich es einfach: Fertig ist besser als perfekt. Meine Alltags-Sketchnotes sehen also weiterhin so schlicht aus wie bisher, Tag für Tag.)
Bewahre deine Sketchnotes auf, möglichst zusammen an einem Ort und chronologisch sortiert, und schau sie dir gerade dann wieder an, wenn die Zweifel sich mal wieder melden.
Man vergisst so schnell, womit man vor wenigen Monaten noch gekämpft hat, sobald es einem leicht fällt… Der Blick zurück und der Vergleich mit deinem „vergangenen Ich“ hilft dir, deinen Fortschritt realistisch einzuschätzen.
Wie ist es bei dir?
Sehen deine visuellen Notizen auch anders aus, als die Sketchnotes da draußen im Netz? Wie gehst du damit um? Unterscheidest du zwischen persönlichen Sketchnotes und solchen, die du mit anderen teilst?
Falls nicht: Kannst du dir vorstellen, das mal auszuprobieren?
Lass mir gerne einen Kommentar da! Ich freu mich auf dein Feedback und bin gespannt, was du zu berichten hast!
DIE ESSENZ in 10 Sekunden
Auf der Suche nach Beispielen wirst du Alltags-Sketchnotes so gut wie nie im Internet finden.
Alltags-Sketchnotes dienen einem anderen Zweck als öffentliche Graphic Recordings. Vergleiche sie nicht miteinander.
Miss deine visuellen Notizen daran, ob sie nützlich für dich sind.
Nimm den Druck raus und befreie dich von übertrieben hohen Erwartungen: Mache dir bewusst, ob du eine Sketchnote nur für dich selbst machst oder sie tatsächlich auch mit anderen teilen wirst.
Triff eine klare Entscheidung, bevor du anfängst: Willst du diese Sketchnote schlicht halten oder ist es dir wichtig, sie aufwendig zu gestalten?
Vergiss die Bilder: Mehrwert bekommt deine Alltags-Sketchnote durch eine übersichtliche Struktur und klar verständlichen Text.
Vergleiche dich nur mit dir selbst: Bewahre deine Sketchnotes auf, um deinen Fortschritt realistisch einschätzen zu können.
Du brauchst noch ein bisschen mehr Anleitung? Dann lade dir meine kostenlose Sketchnote-Starthilfe herunter:
Darin findest du nur die absolut notwendigen Elemente für visuelle Notizen. Für dich vorgefiltert und ausgewählt, damit du sofort starten kannst. Inklusive Vorlage für deinen persönlichen Spickzettel.
Ich wünsche dir viel Spaß damit!
P. S.: Hast du Klarheit für deine nächste visuelle Notiz? Oder drückt akut irgendwo der Schuh?
Keine Scheu – lass mich wissen, wie ich dich bei deinen nächsten Schritten unterstützen kann und hinterlasse gerne einen Kommentar. Ich freue mich auf deine Nachricht!