Notizen machen mit
Stift oder Tastatur?
Welche Vorteile es dir bringt, mit der Hand zu schreiben
Lesezeit: 9 Minuten | aktualisiert: 10.03.2021
Notizen gleich auf dem Laptop zu machen wird zunehmend üblich und erscheint ja auch erst einmal sehr praktisch: Statt handschriftliche Notizen noch einmal abzutippen, erfasst man die Inhalte direkt in einer Textdatei und kann sie dann auch gleich digital teilen, also zum Beispiel die Besprechungsnotiz als E‑Mail-Anhang an die Kolleg:innen verschicken.
Wo ist also das Problem?
Das erste Problem ist, dass niemand wirklich Lust hat, ellenlange Bleiwüsten-Protokolle oder Veranstaltungs-Mitschriften zu lesen.
Viele solcher Aufzeichnungen werden gemacht, um dann bestenfalls irgendwo digital abgelegt zu werden oder als Ausdruck im Wir-müssen-das-fünf-Jahre-aufbewahren-Leitz-Ordner zu verstauben.
Der Form ist genüge getan: Jemand hat das Protokoll geschrieben (mitunter frustrierend für diese Person, weil sie weiß, dass sie womöglich nur für die sprichwörtliche Schublade arbeitet), andere haben es abgelegt (mitunter mit schlechtem Gewissen, weil sie es gar nicht erst lesen) oder müssen sich mühsam (und mit leichtem Groll) durch den Textwust arbeiten, bevor sie relevante Informationen finden.
Damit weiterarbeiten möchte eigentlich niemand. Und einladend zum Lesen, gerade wenn man etwas nachschlagen muss, ist es auch nicht.
Das ist eine Erfahrung, die viele von uns machen.
Als Berufsanfängerin war ich perplex, dass eine Kollegin unwidersprochen regelmäßig seitenlange Protokolle von Sitzungen verschickt hat (5 Seiten in Arial Punkt 10 waren das Minimum), die aus Fetzen von wörtlichen Mitschriften des Gesagten bestanden und vollständig ohne Absätze auskamen. Das höchste der Gefühle war die Fettung von Namen.
Wie sich schnell herausstellte, war ich zu dem Zeitpunkt die einzige, die diese Texte noch las (typischer Anfängerfehler), während alle anderen sie ignorierten. Ihrer Vorgesetzten war es egal, denn sie las diese Protokolle auch nicht: „Zu lang, zu viele Nebensächlichkeiten, wenn ich etwas wissen will, muss sie es mir eben kurz und knapp erzählen“, wie ich dann zufällig während eines Teeküchengesprächs mitbekam.
Was für eine Verschwendung von Arbeits- und Lebenszeit!
(Wenn du keine Lust mehr auf strukturell begünstigte sinnlose Tätigkeiten hast, kann ich dir übrigens folgenden Artikel empfehlen: Fake Work)
Viel gravierender ist aber ein anderes Problem:
Du tust dir selbst keinen Gefallen mit direkt in den Laptop getippten Notizen.
Wenn es darum geht, dir Informationen zu erschließen, Inhalte zu behalten und Zusammenhänge zu verstehen (schnöde als Lernen bezeichnet), sind dir getippte Notizen im Weg.
Hier kommt eine wissenschaftliche Studie ins Spiel (ich gestehe, ich bin Fan von Studien – ja, ein bisschen nerdig, aber ich habe in meinem ersten Berufsleben sehr gerne wissenschaftlich gearbeitet und das tiefere Verstehenwollen von Zusammenhängen ist mir geblieben). Weil nicht jede:r gern wissenschaftliche Paper liest, habe ich die Inhalte hier verständlich für dich aufbereitet:
Die amerikanischen Psychologen Pam A. Mueller von der Princeton Universität und Daniel M. Oppenheimer von der Universität Kalifornien (UCLA) führten eine dreiteilige Studie (PDF) mit 65 Teilnehmenden durch, in der 15-minütige Videos gezeigt wurden.
Die eine Hälfte der Testpersonen war mit Laptops ausgerüstet, die andere mit Stift und Papier, beide Gruppen sollten Notizen machen. Anschließend erhielten sie Ablenkungsaufgaben. Zum Schluss wurde geprüft, was sie in Erinnerung behalten hatten.
Eine erste Analyse untersuchte die Anzahl der geschriebenen Wörter in beiden Bedingungen. Die Laptop-Gruppe schrieb signifikant mehr Wörter (>300) als die Handschrift-Gruppe (<200). Dann wurde untersucht, wie gut die Gedächtnisleistung in beiden Gruppen war. Unterschieden wurde dabei Faktenfragen von Verständnisfragen.
Die Ergebnisse zeigten keine Unterschiede beim Faktenwissen (wie zum Beispiel Jahreszahlen), jedoch schnitt die Handschrift-Gruppe bei den Verständnis-Fragen signifikant besser ab.
Der zweite Studienteil ähnelte dem eben beschriebenen, jedoch gab es eine Laptop-Gruppe, die die Anweisung erhielt, nicht einfach alles Gehörte mitzutippen, sondern die Inhalte mit eigenen Worten zu notieren. Trotz dieser Instruktion schnitt erneut die Handschrift-Gruppe besser ab.
Im dritten Studienteil schaute man auf einen längeren Zeitraum. Könnten die am Laptop geschriebenen Notizen vorteilhaft sein, um später damit zu lernen, da sie mehr und detailliertere Informationen enthalten? Dazu wurde das Wissen eine Woche nach dem Anfertigen der Notizen nochmals abgefragt, die Teilnehmenden hatten vor dem Test die Gelegenheit, sich nochmals mit ihren Notizen zu beschäftigen. Auch in diesem dritten Studienteil zeigte sich die Überlegenheit der handschriftlichen Notizen.
Warum ist das so?
Die Wissenschaftler:innen vermuten, dass die Art des Notizenmachens die Informationsverarbeitung in unserem Gehirn beeinflusst.
Beim Tippen sind wir eher versucht, Inhalte wortwörtlich zu transkribieren, weil die meisten von uns schneller tippen als mit der Hand schreiben können.
Der Effekt: Je mehr ich versuche, jedes einzelne Wort mitzuschreiben (darunter auch Nebensächlichkeiten), desto weniger Zeit bleibt mir zu denken. Durch das Mittippen werden Informationen vermutlich nur oberflächlich verarbeitet. Sie rauschen durch das Kurzzeitgedächtnis durch; das Aufschreiben wird wichtiger als das Verstehen.
Beim Schreiben mit Stift und Papier müssen wir uns hingegen von vornherein auf die Kernaussagen beschränken: Handschriftlich kannst du schlecht eins zu eins mitschreiben, du bist zu langsam (ich jedenfalls bin es).
Um Kernaussagen zu erfassen, bist du mit deiner Aufmerksamkeit ganz anders bei den Inhalten. Du musst aufmerksam zuhören, um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Dabei verarbeitet dein Gedächtnis schon jede Menge Informationen, es gewichtet sie. Und idealerweise fasst du diese Informationen in eigene Worte, um eine lange Aussage auf den Punkt bringen zu können – die Kernaussage, die du in deinem Tempo gut handschriftlich festhalten kannst.
Zudem bekommt die festgehaltene Information einen physischen Ort, wenn du sie mit Stift und Papier festhältst.
Zufälligerweise(?) befindet sich unser Gedächtnis im selben Hirnareal wie unser räumlicher Orientierungssinn. Je „landkartenartiger“ eine Notiz ist, desto leichter bleiben Inhalte im Gedächtnis haften. Sie werden nicht nur (wie rein lineare Texte) im sog. Sprachzentrum verarbeitet, sondern auch im räumlichen Gedächtnis abgelegt.
Das ist ein zusätzlicher „Speicherort“ in deinem Kopf, auf den du zurückgreifen kannst, um Erinnerungen wieder abzurufen. Und es könnte erklären, warum das „in eigene Worte fassen und Tippen“ im zweiten Studienteil ebenfalls nicht mit den handschriftlichen Notizen mithalten konnte.
Warum erzähle ich dir das?
Etwas von Hand aufzuschreiben, um es zu verstehen, mit vorhandenem Wissen zu verknüpfen und im Gedächtnis zu behalten, ist eine wichtige menschliche Kulturtechnik.
In Wissensberufen ist sie essenziell.
Versteh mich nicht falsch: Es werden nicht gleich alle verdummen, wenn sie nur noch tippen. Wenn du dir aber über die Vorteile der handschriftlichen Notiz im Klaren bist und diese häufig nutzt(!), hast du ein mächtiges Werkzeug für deine Arbeit in der Hand.
Trotz fortschreitender Digitalisierung regelmäßig etwas mit Stift und Papier festzuhalten, verschafft dir kognitive Vorteile gegenüber denen, die das nicht (mehr) machen.
- Du nimmst mehr wahr.
- Du bist fokussierter.
- Du durchdringst Zusammenhänge leichter.
- Du siehst Verknüfungen, wo andere nur Einzelteile sehen.
- Du trainierst dein kritisches Denkvermögen.
- Du erreichst Ziele mit höherer Wahrscheinlichkeit.
Und wenn du es clever anstellst, sparst du sogar Zeit.
Die Alternative zu (ab)getippten Notizen ist, handschriftlich übersichtliche, lesbare Notizen zu machen.
Für dich selbst – kein Problem. Aber funktioniert das auch für Sitzungsprotokolle, die du machen und weitergeben musst? Und ob!
- Schreibe sie leserlich von Hand,
- beschränke dich inhaltlich auf Kernaussagen,
- lass Nebensächliches weg,
- mach Zusammenhänge optisch deutlich,
- scanne deine Mitschrift ein,
- versende sie als PDF-Anhang deiner E‑Mail.
»Waaaaas? Das ist bei uns total unüblich! Was werden die anderen denken?«
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es immer einzelne Leute geben wird, die dich schräg angucken werden, wenn du ihnen etwas Handschriftliches zur Verfügung stellst. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass die überwiegende Mehrheit dir (möglicherweise nach einer ersten kleinen Irritation) dankbar sein wird.
Weil sie sich vielleicht das erste Mal nach Jahren überhaupt wieder ein Protokoll ansehen und das womöglich auch noch gerne machen.
Der Clou ist nämlich, dass nicht nur du, sondern auch sie sich besser darin zurechtfinden werden.
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Wie sind deine Erfahrungen mit handschriftlichen Notizen? Wie häufig schreibst du in deinem Arbeitsalltag mit der Hand? Hast du Lust bekommen, es wieder öfter zu tun? Oder tippst du lieber und hast gute Gründe dafür? Lass es mich in den Kommentaren wissen! Ich freue mich auf deine Nachricht! ⇓⇓⇓
Da fühle ich mich jetzt ganz hervorragend bestätigt und gar nicht mehr so old school oder langsam. Ich sehe auch nicht mehr neidisch auf die Arbeitsweise anderer AutorInnen die munter drauflos tippen.
Geht mir ganz genauso. 😀 Ich glaube, ich kann mit dem Stift in der Hand besser denken.